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  (Seminare und Einzelsitzungen)

Zeitgenössischer Schamanismus im deutschsprachigen Raum





Westfälische Schamanin

Schon öfters wurde mir die Frage gestellt, wie jemand aus unserem Kulturkreis überhaupt dazu kommt, Schamanin bzw. Schamane zu werden. Ganz grob gesagt: so wie in anderen Kulturkreisen auch, nämlich indem man mit einer bestimmten Gabe verflucht von den Geister be- oder gerufen wird, die dann solange keine Ruhe mehr geben, bis man den Ruf akzeptiert ... und dann geht der Großteil der Arbeit erst richtig los.
Aber werfen wir nochmal einen Blick auf die Berichte über andere Kulturen, da es in unserem Kulturkreis leider keine überlieferte schamanische Tradition mehr gibt, von der ich berichten kann. Ich habe zwar in meinem Buch „Das Hexeneinmaleins“ aufzeigen können, dass es auch bei uns so einen überlieferten Initiationsweg gegeben hat, allerdings ist dieser eben nicht mehr im Sinne einer gelebten Tradition überliefert.
Daher eine kurze Zusammenfassung aus verschiedenen Berichten über und Interviews mit Schamanen, die hauptsächlich von Ethnologen verfasst wurden. Übereinstimmend zeigt sich, dass ein Schamane schon in jungen Jahren für bestimmte Wahrnehmungen empfänglicher ist, als Gleichaltrige, man kann hier durchaus von einer spirituellen Begabung sprechen, die sich, ebenso wie andere Begabungen (musikalische, mathematische, sprachliche, künstlerische, etc.) bereits im Kindesalter zeigt. Genau wie bei anderen Begabungen gibt es auch bei der spirituellen Begabung verschiedene Abstufung, angefangen von der normalen, durchschnittlichen, über die überdurchschnittliche bis hin zur Hochbegabung. Es ist durchaus legitim, wenn man von Schamanen als überdurchschnittlich spirituell begabten oder sogar hochbegabten Personen spricht, allerdings ist das beste Talent nutzlos, wenn es nicht gefördert wird. In Kulturkreisen, in denen Schamanen vorkommen, findet diese Förderung durch andere Schamanen statt, allerdings ist es oftmals so, dass erst ein starkes Wirken der Geister (bzw. die Hochbegabung) es nötig macht, dass ein spirituelles Talent entsprechend gefördert wird. Oft wird nämlich von einer Initiationskrise berichtet, die auch als „Schamanenkrankheit“ bezeichnet wird. Bei dieser Schamanenkrankheit hängt der Betroffene sozusagen zwischen zwei Bewusstseinszuständen, bzw. springt ständig zwischen ihnen hin und her. Die Fähigkeit des Schamanen, sich willentlich in einen Zustand hinein und wieder hinaus zu begeben, den die westliche Psychologie als psychotisch bezeichnen würde, ist nämlich nicht direkt vorhanden, sondern muss erst einmal von dem Betroffenen trainiert werden, bevor er sie meistert.


Bajuwarischer Schamane beim Krafttiertanz mit Kondor

Zunächst einmal aber zieht ihm diese unangekündigte und direkte Konfrontation mit der nicht-alltäglichen Wirklichkeit oft den Boden unter den Füßen weg, aber zum Glück wissen die Menschen in solchen Kulturkreisen Rat und suchen dann mit dem „Erkrankten“ einen Schamanen auf (bzw. rufen den Schamanen zu sich). Dieser erkennt dann auch bald die Ursache der Krankheit und nun hat, in einigen wenigen Kulturen, der Erkrankte letztmalig die Wahl, ob er sein spirituelles Talent weiter entwickeln und damit selber zum Schamane werden soll oder ob er sich dieses Talent „entfernen“ lässt. Entscheidet er sich dazu es nicht „entfernen“ zu lassen, ist sein Weg vorprogrammiert und er muss lernen, mit den Geistern zu leben, sich mit ihnen zu arrangieren und natürlich auch, mit ihnen zusammen zu arbeiten, um sein eigenes geistiges Gleichgewicht wieder zu erlangen und das willentliche Ein- und Austreten aus diesem speziellen Bewusstseinszustand zu lernen. Dieses Lernen kann sich über mehrere Wochen oder Monate hinziehen, in denen klare Phasen mit Phasen der absoluten Entrücktheit abwechseln. Während dieser Zeit lernt der Betroffene nicht nur von seinen menschlichen Lehrern, sondern vor allem auch von seinen Geistern, den Bewohnern der geistigen Welten, in denen er ja ohnehin immer wieder längere Zeit verweilt. Von ihnen erhält er unter Umständen dann auch Spezialwissen, was ihn dann zu einem Fachmann auf einem bestimmten schamanischen Gebiet macht. Beurteilt wird ein Schamane übrigens nach seinem Können und dieses Urteil fällen die Menschen, die ihn zu sich rufen lassen, wenn sie ein Problem haben. Je mehr Erfolg er bei seinem Handeln hat, desto besser sein Ruf und als desto mächtiger wird er angesehen.
Aber nicht nur in Kulturen, in denen es nach wie vor Schamanen oder ähnlich strukturierte Berufungen gibt, werden Menschen mit überdurchschnittlicher spiritueller Begabung geboren, sondern auch in unserem Kulturkreis. Hier verläuft der Weg allerdings weniger gradlinig und nicht selten hat ein spirituell hochbegabter Mensch in unserem Kulturkreis noch zusätzliche Schwierigkeiten, denn seine Begabung wird bei uns weniger als Talent angesehen, denn als ein pathologischer Zustand. Oft jedoch lernen solche Menschen bereits im Kindesalter, ihre Wahrnehmungen für sich zu behalten oder aber nur mit einigen wenigen ausgewählten Freunden zu teilen. Auch bietet die Parapsychologie zum Glück eine Menge an Erklärungsansätzen, natürlich alle streng wissenschaftlich, mit denen so ein Mensch sein eigenes Talent zumindest einordnen kann. Allerdings kommt die Parapsychologie in ihren Erklärungen gänzlich ohne die Annahme der Existenz von Geistwesen aus, auch dies stellt für spirituell Begabte nicht unbedingt ein Problem dar, lässt sich die Kommunikation mit Geistern auch durchaus als „innerer Dialog“ bezeichnen und gewisse andere Effekte mit dem Wirken des Unterbewusstseins, welches immer und ständig arbeitet (wie das Computerprogramm, was im Hintergrund abläuft) und was natürlich viel mehr wahrnimmt, als das Bewusstsein. Schwierig wird es dann erst ab dem Punkt, an dem sich die Grenze des eigenen Bewusstseins so auflöst, dass der spirituell begabte Mensch ganz spontan in die Anderswelt gelangt, die ihm ebenso real erscheint, wie die bisher gewohnte Realität, die aber mit Wesen bevölkert ist, die ihn gut zu kennen scheinen (die aber leider, im Gegensatz zu ihm, keine andere Person in seinem Umfeld wahrnehmen kann) und die ihm Dinge mitteilen, die sich im Nachhinein als durchaus wahr herausstellen. Da nützt es dann auch wenig, wenn er plötzlich mit neuem Wissen aufwarten kann, was überprüfbar richtig ist, er läuft trotzdem große Gefahr, sich plötzlich in der Praxis eines Psychiaters wiederzufinden ... es sei denn, die Menschen in seinem unmittelbaren Umfeld bekommen nichts von der Dramatik seines inneren Zustands mit oder besitzen tatsächlich genügend Weitblick, um erst mal nur abzuwarten und zu beobachten, so dass sie nicht eingreifen, solange er sich oder andere nicht gefährdet. Wenn die Person nun lernt, diesen Zustand zu kontrollieren, wird sie früher oder später auch von alleine ihr geistiges Gleichgewicht wiederfinden und wieder vollkommen klar sein, mit Ausnahme der Momente in denen sie sich willentlich und absichtlich in genau diesen Zustand wieder hinein- und wieder herausgleiten lässt. Allerdings wird sie zunächst einmal ihr bisheriges rational gebautes Weltbild in Trümmern vorfinden, denn sie weiß jetzt zumindest, dass es tatsächlich Geistwesen gibt und auch, dass diese schon eine ganze Weile mit ihr kommuniziert haben, was sie allerdings bis dahin immer als „inneren Dialog“ gedeutet hatte.
Aber auch ein Weltbild lässt sich wieder aufbauen, nur diesmal wird die Person diese Bild um einige neue Komponenten erweitern und eventuell auch Mut zur Lücke beweisen und einige Dinge gar nicht mehr einzuordnen versuchen, sondern einfach so stehen lassen. Von einem Entweder-Oder-Denken wird sie zu einem Sowohl-Als-Auch-Denken finden und möglicherweise wird sie sich nun ganz bewusst oder auf Anweisung ihrer Geister nach Menschen umsehen, bei denen sie ähnliche Erfahrungen vermutet. Vielleicht wird sie dabei auch Zugang zu Kulturen oder Traditionen bekommen, in denen auch heute noch schamanische Praktiken ausgeübt und schamanisches Wissen gelebt wird. Dort wird sie dann die Bestätigung erhalten, dass sie keineswegs verrückt ist (wie sie im hintersten Winkel ihres rational geprägten Verstandes manchmal immer noch geglaubt hatte), sondern einfach nur ein spirituell überdurchschnittlich begabter Mensch, ein Mittler zwischen der Welt der Geister und der Welt der Menschen.
Es ist auch möglich, dass diese Person dann noch weitere Techniken lernt, die sie dabei unterstützen, ihr spirituelles Potential weiter zu entfalten bzw. dieses umzusetzen, im dem sie „schamanisiert“. Diese Techniken kann natürlich jeder erlernen, auch wenn er nicht zu den überdurchschnittlich spirituell Begabten gehört. Das ist ähnlich wie z.B. das Schreiben lernen. Jeder durchschnittlich intelligente Mensch kann schreiben lernen, einige von ihnen schreiben sogar nette Aufsätze oder Kurzgeschichten für die Schülerzeitung, aber nur ganz wenige werden Autor und landen einen Bestseller. Doch nicht jeder will überhaupt Autor werden oder Bücher schreiben. Viele Menschen empfinden es als heilsam, Tagebuch zu führen oder schreiben Gedichte, in denen sie ausdrücken, was sie im Innersten bewegt, einfach nur für sich selber. Genauso kann man z.B. die schamanische Reisetechnik anwenden, nur für sich selber, um sich besser kennen zu lernen, zur Selbsterkenntnis, um das eigene Potential zu erkennen und auszuschöpfen, um sich selber spirituell weiterzuentwickeln.

Und wenn man dann beginnt, sich auszuloten und das Land der eigenen Seele zu durchwandern, überschreitet man vielleicht eines Tages auch die Grenze in ein anderes Land ...



© Varuna Holzapfel 2010.