(Seminare und Einzelsitzungen)
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Die drei Schwestern
in Vater hatte drei Töchter, von denen waren die
beiden ältesten leidlich hübsch, die jüngste aber wunderschön und zugleich fromm und liebenswürdig. Infolgedessen wurde sie von allen Besuchern bevorzugt. Dies
ärgerte die älteren Schwestern sehr, und sie spielten der
jüngsten, die Marie hieß, lose Streiche. So versteckten
sie ihre Kleider, wenn junge Männer ihre Aufwartung
machten, so daß sie im unscheinbaren Hauskleid erscheinen mußte. Als nun einige reiche Freier sich um Marie
bemühten, wurden sie vor Neid ganz böse.
"Wie, soll die jüngste von uns noch einmal reich werden
und nicht ich oder du ?" sagten die beiden älteren Schwestern
öfters eine zur andern. Und ergrimmt sannen sie auf böse
Anschläge gegen Marien. Sie hatten eine alte Magd im
Hause, die eine Hexe war; diese riefen sie eines Abends zu
sich, als ihr Vater verreist war, und fragten sie: "Wen
liebst du mehr, uns beide oder unsere jüngste Schwester ?"
"Oh, gewiß euch beide", antwortete die Magd. Da befahlen
sie ihr, Marien am kommenden Morgen in den Wald zu
führen, um Erdbeeren zu pflücken. "Führe sie recht weit
hinein", sagten sie ; "dann laß sie allein, damit sie den
Rückweg nicht mehr findet. Wir wollen indessen einen
Sarg machen und ihn begraben; sobald der Vater kommt,
werden wir ihm sagen, Marie sei gestorben und zeigen
ihm das Grab."
Am folgenden Morgen ging Marie mit der Magd in den
Wald, um Erdbeeren zu pflücken. Sie kamen immer tiefer
hinein und, während Marie eifrig die schönen roten Beeren
pflückte, entfernte sich die Magd unbemerkt und ging
nach Hause. Marie weinte und rief, aber vergebens. Den
ganzen Tag irrte sie hin und her, und statt einen Ausweg
zu finden, geriet sie nur immer tiefer in den pfadlosen,
dunklen Wald voll hoher Bäume, deren Äste keinen
Sonnenstrahl auf den feuchten moosigen Boden dringen
ließen. Ganz müde und verzweifelt setzte sie sich auf die
Wurzeln einer hundertjährigen Tanne und ergab sich
weinend in ihr bitteres Schicksal. Doch auf einmal sah
sie einen ehrwürdigen Greis mit langem, weißem Barte vor
sich, der sie freundlich fragte, wie sie hierhergekommen
sei. Sie erzählte ihm alles; da sagte er : "Mein Kind, deine
Schwestern haben aus Neid diesen boshaften Anschlag
gegen dich ausgesonnen, und sie würden dich nur um so
sicherer verderben, wenn du auch den Rückweg fändest.
Bleibe bei mir, da sollst du ein stilles und einsames, aber
glückliches Leben führen !" Marie willigte freudig ein, und
der Greis führte sie in sein Häuschen, das mitten im
Walde stand. Da blieb sie nun bei ihm; der kluge Alte
wußte ihr gar viel zu erzählen und behandelte sie liebevoll
wie ein Vater. Marie blieb nur zeitweilig allein, so oft er
nämlich wegging, um Holz zu sammeln oder Lebensmittel
zu holen; er verbot ihr aber, in seiner Abwesenheit irgend
jemandem die Türe zu öffnen.
Die beiden Schwestern aber erfuhren dennoch, daß
Marie noch lebe und wo sie sei. Voll Zorn befahlen sie der
Magd, verkleidet mit einem Korb voll behexter Sachen,
zum Häuschen in den Wald zu gehen und sie Marien
zum Kaufe anzubieten.
Als nun eines Tages der Alte fortgegangen und Marie
allein zu Hause war, kam eine Frau mit einem Korbe und
rief: "Kauft Ringe, Nadeln, Zwirn, schöne und wohlfeile
Ware!" Marie wollte zwar anfangs nicht aufmachen, die
Frau aber wußte ihr so lange zuzureden, daß sie endlich
die Tür öffnete, um sich die Sachen zu besehen. Am besten
gefiel ihr ein Ring ; als sie ihn aber an den Finger gesteckt
hatte, fiel, sie wie tot zu Boden, und die Magd - denn
diese war die Frau - machte sich aus dem Staube.
Als der Alte nach Hause kam und Marien wie tot daliegen sah, erschrak er sehr, ahnte aber bald, was da vorgefallen sein müsse. Er bemerkte sogleich, daß ein Finger an einer Hand geschwollen sei und zog den Ring ab.
Marie erwachte wie aus einem tiefen Schlafe und erzählte
dem Alten alles, was vorgefallen war. Er warnte sie wieder
und verbot ihr von neuem, in seiner Abwesenheit die
Haustüre zu öffnen.
Die beiden Schwestern aber erfuhren wieder, daß Marie
noch lebe, und schickten die Magd erneut in den Wald.
Eines Tages war der Alte eben ausgegangen und Marie
allein zu Hause; da kam wieder eine Frau, die aber ganz
anders aussah als die frühere und auch andere Sachen,
nämlich nur Kleidungsstücke, verkaufte. Marie ließ sie
lange pochen und rufen, endlich aber blickte sie doch
heraus, und als sie all die schönen Dinge sah, vergaß sie
das Verbot des Alten und öffnete die Türe. Unter anderen
Dingen war da ein hübsches Schnürleibchen, das mußte
ihr wie angegossen stehen, und sie legte es sogleich an.
Kaum hatte sie es am Leibe, als sie wieder wie tot zu
Boden fiel; die böse Verkäuferin aber entfloh so schnell
sie ihre Füße trugen. Mit Schrecken sah der Alte, als er
zurückkam, Marien wie tot auf dem Boden und untersuchte
sie sogleich. Er zog ihr das Schnürleibchen aus und Marie
erwachte abermals wie aus einem tiefen Schlafe. Noch
eindringlicher als zuvor wiederholte der Alte seine Warnung und sein Verbot.
Es verging einige Zeit; da erfuhren die Schwestern, daß
Marie doch noch lebe. Voll Zorn riefen sie die Magd und
sagten: "Geh hin und verstelle dich wie du nur kannst,
damit sie dir die Tür öffne. Dann sieh, daß sie sich von dir
kämmen lasse, und wenn du sie kämmst, stoß ihr eine
behexte Nadel tief in den Kopf, die wird der Alte gewiß
nicht finden."
Marie war eines Tages wieder allein zu Hause und
blickte eben zum Fenster hinaus da sah sie ganz nahe
eine Alte, die schleppte sich mühsam an einem Krückenstocke weiter und brach endlich kraftlos in sich zusammen.
Marie lief sogleich hinaus, hob die Alte auf, führte sie in
das Häuschen und erquickte sie mit Speise und Trank.
Bald gewann die Alte ihre Kräfte wieder und dankte
Manen herzlich. "0h, wenn ich Euch nur auch einen Gefallen tun könnte, mein gutes Kind !" sagte sie. "Ich sehe,
daß Eure schönen Haare zerzaust sind, ich will sie Euch
recht schön kämmen und flechten !" Marie widerstrebte,
aber endlich ließ sie es geschehen. Die Magd - denn diese
war die Alte - stieß ihr die Nadel in den Kopf und eilte
hinweg. Der Alte kam und sah Marien wie tot auf dem
Boden. Er untersuchte sie am ganzen Leibe, aber er
konnte nichts finden. Da wurde er sehr traurig und
beschloß, das schöne Mädchenbild - denn einer Leiche
sah sie nicht gleich, sondern nur einer Schlafenden -
im Hause zu behalten. Er legte sie schön gekleidet auf
ein Bett, kaufte in der Stadt viele große Kerzen und
stellte deren vier um das Bett, wo er sie Tag und Nacht
brennen ließ.
Einmal ging ein reicher Kaufmannssohn auf die Jagd
und verirrte sich im Walde. Da kam er auch am Häuschen
vorbei und sah darin die brennenden Kerzen. Voll Neugierde blickte er durch das Fenster und sah das schönste
Mädchen wie schlafend auf dem Bette ruhen. Als der Alte
die Türe geöffnet hatte, ging er hinein und konnte sich
an der schönen schlafenden Leiche gar nicht satt sehen.
Mit tausend Bitten und Versprechungen drang er in den
Alten, ihm die schöne Schläferin zu überlassen, aber da
war alles vergebens und der Jüngling ging traurig nach
Hause. Doch schon am folgenden Tage kam er wieder
mit seinen Dienern und erneuerte seine Bitten. Endlich
gab der Alte mit Tränen nach, weil er sah, daß der Jüngling ohne das Mädchenbild nicht mehr leben konnte.
Die schöne Schlafende wurde heimlich in das Kaufmannshaus gebracht und in einem stets verschlossenen Zimmer in einem Glasschrank aufgestellt. Stundenlang stand der Jüngling vor dem schönen Bilde, konnte sich daran gar
nicht satt sehen und wurde doch immer so traurig dabei.
Er ließ auch niemanden, selbst seine eigene Mutter nicht,
in das Zimmer treten und behielt den Schlüssel dazu stets
bei sich.
Einmal ging der Kaufmannssohn auf eine längere Reise;
da übergab er vor der Abreise den Schlüssel seiner Mutter
mit der Bitte, das Zimmer nur im dringendsten Notfalle
zu betreten, wenn etwa ein Brand ausbräche. Als er fort
war, konnte die Mutter ihrer Neugierde nicht lange widerstehen und trat in das Zimmer. Mit großem Staunen sah sie das schöne Bild im Glaskasten, öffnete ihn und nahm es heraus. "0 was für ein schönes Mädchen!" rief sie
ein über das andere Mal. Sie ist nicht tot und doch nicht
lebend, was es doch sein mag ? Und was für prächtige
Haare sie hat !" fügte sie bei und wühlte mit der Hand
in den Haaren des Bildes. Da fühlte sie etwas Hartes
und sah, daß es der Kopf einer großen Nadel sei. Sie
zog diese langsam heraus und in demselben Augenblicke
erwachte Marie aus ihrem Zauberschlafe. Erschrocken
blickte sie um sich, die Mutter aber redete ihr freundlich zu
und Marie erzählte ihr alles. Als der Jüngling wieder nach
Hause kam, befahl die Mutter Marien, sich zu verbergen.
Er trat ins Zimmer und seine ersten zornigen Blicke fielen
auf seine Mutter und auf den Glaskasten. "Wo ist das
Bild ?" rief er voll Zorn, als er den Kasten leer fand. Die
Mutter gebot ihm Ruhe; da unterdrückte er die Aufwallung
des Zornes, brach aber in heiße Tränen des Schmerzes aus.
Nun gab seine Mutter ein Zeichen und Marie trat aus ihrem
Verstecke hervor dem Jüngling entgegen. Dieser wußte
sich anfangs vor freudigem Schrecken nicht zu fassen, dann
aber umarmte er Marie als seine Braut.
Nun wurde fröhliche Hochzeit gehalten, die bösen
Schwestern aber entgingen nicht ihrer Strafe.
aus dem Buch "Das Zauberschloß, unbekannte alte Kindermärchen", 1948 München
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