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  (Seminare und Einzelsitzungen)

Dies ist eine Sammlung von Texten aus vergangenen Jahrhunderten (Sprüche, Lieder und Gedichte).




Die Merseburger Zaubersprüche

I
Eiris sâzun idisi, sâzun hera douder.
suma hapt heptidun, suma heri lezidun,
suma clûbôdun, umbi cuoniouuidi:
insprinc haptbandun, invar vîgandun!


II
Phol ende Uuodan vuorun zi holza.
dû uuart demo Balderes volon sîn vuoz birenkit.
thû biguolen Sinthgunt, Sunna era suister;
thû biguolen Frîia, Volla era suister;
thû biguolen Uuodan, sô hê uuola conda:
sôse bênrenkî, sôse bluotrenkî, sôse lidirenkî:
bên zi bêna, bluot zi bluoda, lid zi geliden,
sôse gelîmida sîn!

gefunden im Domkapitel zu Merseburg in einer Handschrift aus dem 10. Jahrhundert aus Fulda,
die Sprüche sind jedoch älter


Hochdeutsche Übersetzung

I
Einst setzten sich die Disen hierhin und dorthin.
Manche hefteten Haftfesseln, manche lähmten das feindliche Heer,
manche klaubten um heilige Fesseln (d.h. sie bannten die Feinde mit Zaubersprüchen)
Entspring den Haftfesseln, entfahr den Feinden!


II
Phol (=Baldur) und Wotan ritten in den Wald.
Da wart dem Fohlen Baldurs der Fuß verrenkt.
Da besprach ihn Sinthgunt, Sunnas Schwester;
Da besprach ihn Freyja, Fullas Schwester;
Da besprach ihn Wotan, der es wohl konnte:
So wie Beinrenke, so wie die Blutrenke, so wie die Gliedrenke:
Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Glied,
sollen sein, wie geleimt!



Das sächsische (altniederdeutsche) Taufgelöbnis

Forsachistû diobolae?
(et respondeat):
ec forsacho diobolae.
end allum diobolgeldae?
(respondeat):
end ec forsacho allum diobolgeldae.
end allum dioboles uuercum?
(respondeat):
end ec forsacho allum dioboles uuercum end uuordum,
Thunaer ende Uuôden ende Saxnôte
ende allum thêm unholdum, thê hira genôtas sint.
Gelôbistu in got alamehtigan fadaer?
ec gelôbu in got alamehtigan fadaer.
Gelôbistu in Christ godes suno?
ec gelôbu in Christ godes suno.
Gelôbistu in hâlogan gâst?
ec gelôbu in hâlogan gâst.

ca. 10. Jahrhundert
mit diesem Taufgelöbnis mußten die von Kaiser Karl besiegten sächsischen Stämme dem Glauben ihrer Väter abschwören und sich taufen lassen
wer sich weigerte, oder weiterhin den alten Göttern opferte, verlor Haus und Hof, später auch sein Leben


Hochdeutsche Übersetzung

Sagst Du ab dem Teufel?
(und er soll antworten):
Ich sage ab dem Teufel.
Und allem Teufelsopfer?
(er antworte):
Und ich sage ab allem Teufelsopfer.
Und allen Teufelswerken?
(er antworte):
Und ich sage ab allen Teufelswerken und -worten,
Donar und Wotan und Saxnot
und allen den Unholden, die ihre Genossen sind.
Glaubst Du an Gott, den allmächtigen Vater?
Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater.
Glaubst Du an Christ, Gottes Sohn?
Ich glaube an Christ, Gottes Sohn.
Glaubst Du an den heiligen Geist?
ich glaube an den heiligen Geist.



Und hier ein paar Zaubersprüche als Beispiele für das Vermischen des alten heidnischen mit dem neuen christlichen Glauben

Contra rehin

Primo dic pater noster. in dextram aurem.

Marh phar.
niene tar.
mvnt was.
marh was.
war come du do.
var in dinee
ciprige.
in dine
marisere.
daz dir ze bvoze.

ter. et pater noster.

aus dem 12. Jahrhundert

Gegen die Rähe

Zuerst sprich ein Vaterunser ins rechte Ohr.

Geh weg, Dämon!
Schade nirgendwo.
Schutz war(?).
Dämon war(?).
Wo kommst Du her ?
Geh in dein
Gebirge,
in deine
Meere.
Das dir zur Heilung.

Und drei Vaterunser.



Pro nessia:

Gang uz Nesso, mit niun nessinchilinon
uz fonna [demo] marge. In deo adra
vonna den adrun In daz fleisk.
fonna demu fleiske. In daz fel.
fonna demo velle In diz tulli.

Ter Pater noster similiter.

aus dem 9. Jahrhundert

Gegen Würmer

Geh hinaus, Wurm, mit neun Würmchen,
hinaus aus dem Marke in die Adern,
aus den Adern in das Fleisch
aus dem Fleische in die Haut,
aus der Haut in diese Pfeilspitze.

Ebenso [bete] drei Vaterunser.



Es ist ein Schnitter

Es ist ein Schnitter, heißt der Tod, hat Gwalt vom großen Gott.
Heut wetzt er das Messer, es schneidt schon viel besser,
bald wird er dreinschneiden, wir müssens nur leiden.
Hüt Dich, schön's Blümelein!

Was heut noch frisch und grün da steht, wird morgen weggemäht.
Die edel Narzissel, der englische Schlüssel,
der schön Hyazinth, die türkische Bind.
Hüt Dich, schön's Blümelein!

Viel hunderttausend ungezählt, was unter die Sichel fällt:
Rot Rosen, weiß Lilien, beid wird er austilgen;
ihr Kaiserkronen, man wird euch nicht schonen.
Hüt Dich, schön's Blümelein!

Trutz Tod kom her, ich fürcht dich nit! Trutz! eil daher, tu einen Schnitt!
Wann Sichel mich letzet, so werd ich versetzet
in den himmlischen Garten, darauf will ich warten.
Freu Dich, schön's Blümelein!

nach einem fliegenden Blatt von 1638, aus der Zeit des 30jährigen Krieges und der "Hexenbrände"



Es war ein König in Thule

Es war ein König in Thule gar treu bis an das Grab,
dem sterbend seine Buhle einen gold'nen Becher gab.

Es ging ihm nichts darüber, er leert ihn jeden Schmaus,
die Augen gingen ihm über, so oft er trank daraus.

Und als er kam zu sterben, zählt er seine Städte im Reich,
gönnt alles seinen Erben, den Becher nicht zugleich.

Er saß beim Königsmahle die Ritter um ihn her,
im hohen Vätersaale, dort auf dem schloß am Meer.

Dort stand der alte Zecher, trank letzte Lebensglut
und warf den heil'gen Becher hinunter in die Flut.

Er sah ihn stürzen, trinken und sinken tief ins Meer.
Die Augen täten ihm sinken, trank keinen Tropfen mehr.

aus dem Faust von Johann Wolfgang von Goethe, 1749 - 1832



Kirche

Es webt und rausch ein uralt heil'ger Hain,
Die Kräfte steigen schaffend auf und nieder,
Die ew'gen Wasser steigen aus dem Stein,
Und aus den Lüften tönen Frühlingslieder.

Die Blumen sprießen schön und farbenrein,
Die Wipfel breiten aus ihr Laubgefieder-
Doch immer dringt der Priester Rotte ein
Und fällt das freie Gottesleben nieder.

Sie fügen aus den Bäumen sich ein Haus
Und jagen Liebe, Lenz und Licht hinaus:
Hier muß der Gott nach ihrem Willen leben!

Dem Geist, der sich sein Wohnhaus selber schafft,
erbauen sie die enge Kerkerhaft-
Ein Totenhaus, dem Leben Raum zu geben!

Ludwig Pfau (1821 - 1894)



Gesang der Toten

Du Wandrer, der im Lichte
Ob unsern Häuptern geht,
Auf dessem Angesichte
das rote Leben steht-
O wolle nicht vergessen
In deinem Sonnenschein
Der Toten, die indessen
Bedeckt ein kalter Stein.

Wir haben auch dort oben
Voreinst wie du gelebt,
Von all dem Drang umwoben,
Gelitten und gestrebt.
Wir haben unsre Hände,
Die fleißigen, geregt,
Eh' man in diese Wände,
Die engen, uns gelegt.

Die Wege, so du schreitest,
Die haben wir geweiht;
Die Bahnen, wo du streitest,
Die haben wir befreit.
Wir sind in Nacht gestiegen,
Auf das dir werde Licht;
Drum unter deinen Siegen
Begrab die unsern nicht!

Und wenn, was wir errungen,
Dir klein und dürftig ist,
Nachdem du fortgedrungen
Auf unsern Schultern bist-
Bald werden andre kommen
Und auf den deinen stehn,
Den Berg, den du erklommen,
Nur noch als Hügel sehn!

Drum laß den Kranz der Ehre
Uns unversehrt und ganz,
Damit dir nicht verwehre
Die Nachwelt deinen Kranz!
Und wandelst du dort oben,
So denk, wer dich zum Licht,
Zum Leben dich gehoben-
Vergiß der Toten nicht!

Ludwig Pfau (1821 - 1894)



Einheit

Ich bin vom Blut der Heiden
Und kann die Gottnatur
In gut und schlecht nicht scheiden:
Sie ist mir Eines nur.

Ihr prägt viel tausend Namen,
Zerlegt bis zum Atom,
Doch alles ist ein Samen,
Ist eines Lebens Strom.

Die Weltenseele schweben
Fühl ich im Tropfenfall,
Im linden Wipfelbeben,
Im Wetterwiderhall.

Sie grub im Vorweltschweigen
Am Fels die Runenschrift,
Flüstert im Blumenneigen
Der freien Alpentrift.

Sie singt im Föhnsturmsausen
Vom Auferstehn der Saat,
Sie ruft im Sturzbachbrausen:
Erlösung ist die Tat!

Ich hab mich selbst gefunden
In jeder Kreatur,
Bin unlösbar verbunden
Ein Teil der Allnatur.

Ein Funken, nie verknistert
Bin ich vom Urlichtschein,
Von Ewigkeit verschwistert
Mit Wald, Getier und Stein.

Arthur von Wallpach (1866 - ?)